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Die letzten Kinder von Schewenborn

oder ... sieht so unsere Zukunft aus? von Gudrun Pausewang
Auflage:2. Aufl.
Seitenanzahl:189 Seiten
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht:2015
Verlag: Ravensburger Buchverlag
ISBN:978-3-473-47695-4
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Kurztext / Annotation

Über Deutschland explodiert eine Atombombe. Von nun an beherrschen Krankheit, Todesangst und Kriminalität den Alltag. Eine Zukunft gibt es nicht mehr. Gudrun Pausewang entwirft ein fiktives Szenario, das erschüttert und zum Nachdenken zwingt. Die Autorin erhielt 2017 den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk. Wichtig für den Schulunterricht: Seitenzählung unverändert! Ein Auszug aus 'DIE LETZTEN KINDER VON SCHEWENBORN' von Gudrun Pausewang:Wir fuhren auf der Kasseler Autobahn bis Alsfeld, dann bogen wir in den Vogelsberg ab. Es war ein Julitag, wie man ihn sich nur wünschen kann. Mein Vater fing an zu singen, und wir sangen mit. Meine Mutter übernahm die zweite Stimme. Als wir durch Lanthen fuhren, war noch alles wie immer.Aber im Wald zwischen Lanthen und Wietig, gerade in der Kurve am Kaldener Feld, blitzte es plötzlich so grell auf, dass wir die Augen zupressen mussten. Meine Mutter stieß einen Schrei aus, und mein Vater trat so fest auf die Bremse, dass die Reifen quietschten. Der Wagen geriet ins Schleudern und blieb quer zur Fahrbahn stehen. Wir wurden in den Gurten hin- und hergerissen.Sobald der Wagen stand, sahen wir am Himmel, hinter den Wipfeln, ein blendendes Licht, weiß und schrecklich, wie das Licht eines riesigen Schweißbrenners oder eines Blitzes, der nicht vergeht. Ich schaute nur einen Augenblick hinein. Trotzdem war ich danach eine ganze Weile wie blind.

Gudrun Pausewang wurde 1928 als das älteste von sechs Kindern in Wichstadtl (Ostböhmen) geboren. Ihr Vater kam 1943 in Russland um und ihre Mutter musste nach Kriegsende mit den sechs Kindern in den Westen fliehen. Gudrun Pausewang hat - neben Romanen für Erwachsene - zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, in denen sich ihre Erfahrungen und die Betroffenheit über die Armut in Südamerika, das Schicksal von Flüchtlingen und über die atomare Bedrohung niederschlagen. Sie engagierte sich in ihren Büchern für den Frieden, die Umwelt und soziale Gerechtigkeit sowie für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Dritten Reich. Für ihr Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, dem Bundesverdienstkreuz und dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur. 2017 erhielt sie für ihr Gesamtwerk den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises. Am 23. Januar 2020 verstarb Gudrun Pausewang.

Beschreibung für Leser

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Es ist nicht so gekommen, wie es sich unsere Eltern und die meisten übrigen Erwachsenen vorgestellt hatten: mit immer schärferen Drohungen von beiden Seiten und gegenseitiger Kriegserklärung und genug Zeit, um sich noch schnell in ein Alpental oder auf eine Mittelmeerinsel zu flüchten.

Nein. Es kam ganz plötzlich, so plötzlich, dass es viele Leute in Badehosen oder im Liegestuhl überrascht hat. Es kam wie aus heiterem Himmel. Zwar hatte man in den letzten Wochen und Tagen vor der Katastrophe über die wachsende Spannung zwischen Ost und West* viel diskutiert. Sogar meine Mutter hatte den Fernseher eingeschaltet, wenn die Nachrichten kamen, was sie sonst nie getan hatte. Aber seit dem Zweiten Weltkrieg war die Lage schon oft gespannt gewesen, und es war trotzdem nichts passiert.

Die Urlaubs- und Ferienzeit fing gerade an. Niemand wollte gern an Unangenehmes denken und sich darüber den Kopf zerbrechen.

»Meinst du nicht, wir sollten lieber erst mal zu Hause bleiben, bis sich alles beruhigt hat?«, fragte meine Mutter den Vater, einen Tag bevor wir in Urlaub fahren wollten. Meine Mutter war schon immer etwas ängstlich gewesen, was die Politik betraf.

»Unsinn«, antwortete er. »Da könnten wir lange warten. Spannungen gibt's immer. Die da oben werden sich schon wieder vertragen, egal, ob wir im Urlaub sind oder nicht. Außerdem haben wir uns bei deinen Eltern angemeldet. Sie freuen sich so auf die Kinder. Sie wären enttäuscht, wenn wir sie auf die nächste oder übernächste Woche vertrösten würden oder überhaupt nicht kämen.«

Also fuhren wir los, nachdem wir unseren Wellensittich und unseren Pudel bei Frau Kellermann abgegeben hatten. Frau Kellermann wohnte über uns. Schon immer, seit ich mich erinnern kann, versorgte sie unsere Tiere, wenn wir verreisten, und goss unsere Blumen. Dafür übernahmen wir ihre Katze und gossen ihre Blumen, wenn sie verreiste. Dass wir dieses Mal weder Frau Kellermann noch unseren Wellensittich noch unseren Pudel noch unsere Wohnung, ja nicht einmal unser Frankfurter Stadtviertel Bonames wieder sehen würden, ahnte keiner von uns.

Während der Fahrt waren wir in bester Stimmung, wir fünf. Das waren meine ältere Schwester Judith, meine jüngere Schwester Kerstin, meine Eltern und ich. Damals war ich zwölf Jahre alt, fast dreizehn. Judith war drei Jahre älter als ich. Kerstin war erst vier. Wir freuten uns sehr auf die vier Wochen in Schewenborn. Dort erwartete uns der Großvater mit seiner Hobbywerkstatt und seinem Garten am Fleyenhang. Dort erwartete uns die Großmutter mit Eingemachtem, das im Keller in einem großen Regal für uns bereitstand, und mit ihrer Spieluhrensammlung, die sie uns bei jedem Besuch vorführte. Meine Eltern brachten ihr diesmal auch wieder eine Spieluhr mit. Die sah wie eine Schmuckschatulle aus, und wenn man an ihrer kleinen Kurbel drehte, klimperte sie O sole mio. Mein Vater zog die Großmutter wegen dieses Ticks oft auf, aber wir Kinder fanden ihre Sammlung einfach klasse. Jeder von uns hatte eine Lieblingsmelodie.

In Schewenborn gab es noch viel mehr, worauf wir uns freuten: die Winkel und Treppchen und Tore zwischen den alten Fachwerkhäusern, wo es sich so gut Versteck spielen ließ. Den dicken alten Turm mit dem Umgang, von dem aus man die ganze kleine Stadt überblicken konnte. Das Heimatmuseum in der Burg, durch das uns der Großvater manchmal führte und alles so interessant und witzig erklärte, dass es uns nie langweilig wurde. Das Schwimmbad an der Schewe mit warmem Wasser auch an kalten Tagen. Meine Mutter freute sich auf den Schlosspark, in dem sie abends mit der Großmutter gern spazieren ging, rund um das Schloss zwischen den riesigen Kastanien. Mein Vater freute sich auf die großen Wälder, denn er war ein begeisterter Wanderer, und auf den Maldorfer See, an dem er oft mit dem Großvater angelte.

Wir fuhren auf der Kasseler Autobahn bis Alsfeld, dann bogen wir in