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Weil wir Flügel haben

Roman von Vanessa Diffenbaugh
Seitenanzahl:416 Seiten
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht:2016
Verlag: Limes; Ballantine Books, New York 2015
ISBN:978-3-641-17144-5
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Kurztext / Annotation

Das Herz kann sich irren, aber es hört nie auf zu lieben ...
Seit vierzehn Jahren arbeitet die dreiunddreißigjährige Letty von morgens bis abends, während ihre Kinder, Alex und Luna, von ihrer Mutter erzogen werden. Als Lettys Eltern nach Mexiko zurückkehren, muss sie zum ersten Mal ihren Mutterpflichten nachgehen und Verantwortung für andere übernehmen. Panisch versucht sie sich dem Ganzen zu entziehen, doch einen Autounfall, eine ungewöhnliche Begegnung und einen Krankenhausaufenthalt später bekommt sie endlich die Möglichkeit, denen, die sie liebt, ein schöneres Leben zu bieten. Doch kann Letty ihre Ängste überwinden und ihre zweite Chance im Leben nutzen?

Vanessa Diffenbaugh ist Kunsterzieherin und Schriftstellerin. Sie ist nicht nur künstlerisch, sondern auch sozial sehr engagiert. Sie unterstützt verschiedene Kinderhilfsorganisationen und setzt sich für die Förderung von Pflegefamilien ein. Mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt sie in Monterey, Kalifornien. Ihr Debütroman »Die verborgene Sprache der Blumen« war weltweit ein Bestseller.

Beschreibung für Leser

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1

Die Ränder der Matratze sackten ein, als Alex sich hinsetzte. Luna hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und tat dasselbe wie immer, wenn sie vortäuschen wollte, dass sie noch schlief. Sie kniff die Augen fest zusammen und zog die Mundwinkel nach unten, weil Alex ihr einmal erzählt hatte, dass sie lächelte, wenn sie sich schlafend stellte, weshalb sie es nun in die andere Richtung übertrieb. Lange schwarze Haarsträhnen waren ihr aus den Zöpfen gerutscht und hatten sich in ihren goldenen Ohrringen verheddert. Ein Rest angetrockneter Speichel blätterte weiß von ihrer Wange ab. Kurz sah sie Alex durch die verkrusteten Wimpern an, um festzustellen, wer da vor ihr stand, und machte die Augen sofort wieder zu. Ihr Zahnfleisch war geschwollen und gerötet, dort wo ihr vor kurzem zwei Schneidezähne ausgefallen waren.

Wie sollte er es ihr nur sagen?

Sie war doch erst sechs. Erst sechs und noch dazu sehr klein. Obwohl ihre Großmutter ständig am Herd stand, verlor sie in manchen Wochen an Gewicht, anstatt zuzunehmen, und dabei war sie ohnehin viel zu dünn. Was sollte er ihr zu essen geben? Wieder ergriff ihn dieselbe Verzweiflung wie vorhin, als er aufgewacht war und den Brief gelesen hatte. Er blies die Wangen auf und hielt den Atem an, bis das Gefühl verflogen war. Alles wird gut, flüsterte er. Alles wird gut. Er war vierzehn, wurde nächsten Monat fünfzehn. Und er hatte seiner Großmutter lange genug zugesehen, um zu wissen, was zu tun war. Es würde nicht leicht werden. Luna war nicht gerade ein gehorsames Kind. Sie zu etwas zu bringen erforderte langwierige Verhandlungen, Ablenkungen und manchmal - selbst bei seiner Großmutter - Bestechung.

Alex beschloss, gleich zur Bestechung zu greifen und die Zwischenschritte zu überspringen.

»Wie schade, dass Luna noch schläft, ich esse nämlich gleich Donuts zum Frühstück.«

Sie presste das Gesicht ins Kissen, um einen Jubelschrei zu unterdrücken, und hielt sich die Ohren zu, als könne sie damit verhindern, dass ihre Großmutter sie hörte. Denn dieser Vorschlag verstieß gegen mindestens drei Regeln: (1) Auf dem Schulweg niemals anhalten. (2) Vormittags keinen Zucker essen. (3) Grundsätzlich keine Donuts anrühren.

»Keine Sorge, sie ist nicht da.«

Luna löste sich langsam von ihrem Kissen. Mit ihren braunen Augen musterte sie Alex und suchte nach Hinweisen, wie sie diese ungewohnte Situation deuten sollte. »Wo ist sie?«

Er zwang sich zu einem Lächeln. »Mom ist mit ihr zu Opa gefahren.«

»Haben sie ihn gefunden?«

Alex hielt inne und wackelte kreisförmig mit dem Kopf, was Luna sicher als »Ja« auslegen würde. Allerdings war die Bewegung missverständlich genug, dass Alex aus dem Schneider war, falls er je am Himmelstor auf seine Ehrlichkeit hin überprüft werden sollte. Er hatte den Brief seiner Großmutter hinter dem Glas mit den Trinkgeldern versteckt, das seine Mutter im hoffentlich vollen Küchenschrank aufbewahrte. (Das meiste Geld hatte sie allerdings mitgenommen, sodass nur etwa eine sechs Zentimeter hohe Schicht Münzen am Boden des Glases zurückgeblieben war). Er berechnete die Zeit, die sie bei durchschnittlich hundert Stundenkilometern brauchen würden, um die Strecke nach Oro de Hidalgo und zurück hinter sich zu bringen. Der bestmögliche Fall: »Am Freitag sind sie wieder da.«

Luna schwieg, und Alex glaubte kurz, dass sie sich die gleichen Sorgen machte wie er. Ob seine Mutter es schaffen würde, seine Großeltern Maria Elena und Enrique zurück über die Grenze zu bringen. Ob sie überhaupt wiederkommen würden. Doch sie fragte nur, welcher Tag sei.

»Dienstag.«

Sie summte die Wochentage zur Melodie von »Clementine« und zählte sie an den Fingern ab. »Drei Tage.«

»Genau. Drei Tage, in denen wir essen können, was wir wollen. Und nach der Schule zu unseren Freunden gehen.«

Sie hatten keine Freunde, Luna wirkte nicht sehr überzeugt.

Durch die Decken