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Verzeichnis einiger Verluste

von Judith Schalansky
Auflage:1. Auflage
Seitenanzahl:252 Seiten
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht:2018
Verlag: Suhrkamp Verlag
ISBN:978-3-518-75902-8
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Kurztext / Annotation

Wie groß ist der Unterschied zwischen An- und Abwesenheit, wie nah liegen Bewahren und Zerstören, Verlust und Schöpfung beieinander?

Die Weltgeschichte ist voller Dinge, die verloren sind - mutwillig zerstört oder im Lauf der Zeit abhandengekommen. Ausgehend von verschwundenen Natur- und Kunstgegenständen wie den Liedern der Sappho, dem abgerissenen Palast der Republik, einer ausgestorbenen Tigerart oder einer im Pazifik versunkenen Insel, entwirft Judith Schalansky mit erzählerischer Kraft ein Verzeichnis des Verschollenen. Die Protagonisten dieser Geschichten sind Figuren im Abseits, die gegen die Vergänglichkeit ankämpfen: ein alter Mann, der das Wissen der Menschheit in seinem Tessiner Garten hortet, ein Ruinenmaler, der die Vergangenheit erschafft, wie sie niemals war, die gealterte Greta Garbo, die durch Manhattan streift und sich fragt, wann genau sie wohl gestorben sein mag, und die Schriftstellerin Schalansky, die in den Leerstellen ihrer eigenen Kindheit die Geschichtslosigkeit der DDR aufspürt.



Judith Schalansky, 1980 in Greifswald geboren, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign. Ihr Werk, darunter der international erfolgreiche Bestseller Atlas der abgelegenen Inseln sowie der Roman Der Hals der Giraffe, ist in mehr als 20 Sprachen übersetzt und wurde vielfach ausgezeichnet. Sie ist Herausgeberin der Naturkunden und lebt als Gestalterin und freie Schriftstellerin in Berlin.

Beschreibung für Leser

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Südliche Cookinseln

Tuanaki

auch Tuanahe

* Das Atoll lag etwa 200 Seemeilen südlich von der Insel Rarotonga und etwa 100 Seemeilen südwestlich von der Insel Mangaia.

_ Um den Jahreswechsel 1842/43 muss Tuanaki bei einem Seebeben untergegangen sein, denn im Juni 1843 konnten Missionare die Insel nicht mehr lokalisieren. Erst im Jahr 1875 wurde das Atoll von allen Karten getilgt.

Es war an einem lichten und vollkommen windstillen Apriltag vor genau sieben Jahren, als ich eine mir unbekannte Insel namens Ganges auf einem Globus der Kartenabteilung der Staatsbibliothek entdeckte. Das einsame Eiland lag im nordöstlichen Nichts des pazifischen Weltmeeres, im Kielwasser des mächtigen Kuro Siwo, jener sich schwarzblau kräuselnden Meeresströmung, die warme, salzige Wassermassen von der Insel Formosa entlang des japanischen Archipels unermüdlich nordwärts schiebt, als imaginärer nördlicher Fluchtpunkt der marianischen und der ha-waiianischen Inselketten, von denen Letztere noch den Namen John Montagus - des vierten Earl of Sandwich - trug, zumindest auf jener etwa kinderkopfgroßen Kugel aus Gips und kunstvoll bedrucktem Pappmaché. Von dem vertrauten Namen und der ungewöhnlichen Position gereizt, stellte ich Nachforschungen an, die zu Tage brachten, dass nahe den Koordinaten 31°N 154°O zweimal ein Riff, viermal sogar Land gesichtet worden war, die Existenz eines solchen jedoch von verschiedenen Stellen immer wieder angezweifelt wurde, ehe am 27. Juni 1933 eine Schar japanischer Hydrografen nach eingehender Untersuchung der fraglichen Region das amtliche Verschwinden von Ganges vermeldete, ohne dass die Welt größere Notiz von jenem Verlust nahm.

Tatsächlich verzeichnen die alten Atlanten zahllose Phantominseln, die Seefahrer umso häufiger zu erblicken glaubten, je genauer die Karten wurden und je weniger Raum für Unerforschtes sie boten, von den letzten weißen Flecken erregt, von der Ödnis der unermesslichen See gereizt, von tiefhängenden Wolken oder driftenden Eisbergen getäuscht, von brackigem Trinkwasser, madigem Brot und zähem Pökelfleisch angewidert, nach Land und Ruhm so sehr dürstend, dass in ihrer uferlosen Gier all das Begehrte zu einem Klumpen aus Gold und Glanz verschmolz und sie dazu verlockte, wundersame Namen samt nüchternen Koordinaten in die Logbücher zu notieren, um die Ereignislosigkeit ihrer Tage mit vermeintlichen Entdeckungen zu durchkreuzen. Und so fanden Namen wie Nimrod, Matador oder die Auroras Eingang in die Karten, kühne, kursive Schriftzüge neben den schwach umrissenen Konturen verstreuter Brocken Land.

Doch nicht diese lange Zeit unwidersprochenen Behauptungen fesselten mein Interesse, sondern die Inseln, deren einstige Existenz und späteres Verschwinden zahlreiche Berichte verbürgen, unter allen Zeugnissen jedoch vor allem jene, die von der untergegangenen Insel Tuanaki berichteten, was gewiss dem klangvollen, an ein verwehtes Zauberwort erinnernden Namen, hauptsächlich aber der eigentümlichen Kunde geschuldet war, die von den Bewohnern dieses Eilands zu berichten wusste, ihnen wäre das Kämpfen gänzlich unbekannt und das Wort Krieg in keiner seiner unguten Bedeutungsschichten geläufig gewesen, was ich aus einem tief verschütteten Rest kindlicher Hoffnung heraus sofort zu glauben bereit war, auch wenn es mich zugleich an die utopischen Wunschträume etlicher Traktate erinnerte, die nichts Geringeres zu behaupten wagten, als dass eine andere Welt möglich sei, diese jedoch - wie die oft ausufernden Beschreibungen ihrer immer durchdachter und folglich lebensfeindlicher werdenden Gesellschaftsordnungen zeigten - gemeinhin nur in der Theorie der bestehenden vorzuziehen sei. Wider besseres Wissen suchte ich also wie