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Was passiert, wenn ein Mensch sich aus geistiger Enge, tiefer Armut und politischer Rechtlosigkeit befreit und ein neues Leben nach den entgegengesetzten Vorstellungen aufbauen will – und zwar ausschließlich nach diesen? Ein solches Experiment hat der aus der Ukraine geflüchtete Jude und spätere Psychologe Boris Sidis in den USA unternommen: Von Geburt an wird sein Sohn William James Sidis zu Wissen und Vernunft erzogen, auf allen Gebieten und mit einer Konsequenz, die für Gefühl und mitmenschliches Verständnis, also für Kompromisse keinen Raum lässt. Als Wunderkind heimst die nach einem historischen Vorbild gestaltete Titelfigur zunächst einen Erfolg nach dem anderen ein; aber sobald der Bonus der Kindlichkeit nicht mehr wirkt, wird die beherrschende Rationalität des William James Sidis zum Störfaktor auf allen Gebieten des Lebens: Beziehungen der Kollegialität, der Liebe und der Freundschaft lassen sich aus der Geistesverfassung des genialen Mathematikers heraus nicht aufbauen, und das Genie wird mehr und mehr zum gesellschaftlichen Außenseiter, der verarmt und verwahrlost nur noch als Querulant wahrgenommen wird. In zwei Weltkriegen trägt sein bedingungsloser Pazifismus zu seinem Abstieg bei, und das Exempel ist mit seinem einsamen Tod statuiert: Wie zu erwarten, scheitert die Verabsolutierung der Vernunft. Dieser Prozess ist bis hin zur Vision des Genies im Augenblick des Todes einfühlsam und plastisch erzählt; dennoch fehlen dem historischen Sujet aus dem 20. Jahrhundert nach über zweihundert Jahren Kritik der Aufklärung die Spannung und Unvorhersehbarkeit eines offenen – modernen – Schicksals.

von HEYN Leserunde Petra Hesse, 8. Februar 2018
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Boris Siddis, ein junger Mann aus der Ukraine, kommt 1887 mittelos nach Amerika, arbeitet als Hilfsarbeiter und verbringt den Rest der Zeit in Bibliotheken. Sein Wissen ist so enorm, dass er in Harvard aufgenommen und ein bekannter Psychologe wird. Er heiratet Sarah und sie bekommen einen Sohn, William. Von Geburt an wendet Boris an seinem Sohn die von ihm erfundene Methode, wonach man aus jedem Kind ein Genie machen könne an und sein Plan geht auf. Mit zwei Jahren kann William die Zeitung lesen, mit fünf spricht er mehrere Sprachen, für die Grundschule braucht er ein Jahr, kommt mitt acht Jahren auf die High School und mit elf Jahren nach Harvard. Er ist weltberühmt und sein Vater triumphiert, ist sein Sohn doch der Beweis, dass seine Methode funktionkert. Doch Williams Leben besteht nur aus Anhäufung von Wissen, er hat keine persönlichen Kontakte, trennt sich von seinen Eltern und lebt in billigen Unterkünften, ist ungepflegt und unnahbar. Wegen seines absonderlichen Verhaltens wird ihm nun der Zugang zu den Universitäten verweigert. Als Versicherungsangestellter und als Strassenbahnschaffner findet er sein Auskommen. Die wahre Geschichte eines Genies, aufregend zu lesen, auch wenn sie manchmal Gänsehaut verursacht.

von HEYN Leserunde Erika Liebminger, 11. Januar 2018
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Ein Genie ist laut Wikipedia eine Person mit überragend schöpferischer Geisteskraft. Klaus Cäsar Zehrer erzählt die wahre Geschichte gleich zweier Genies - jene von Boris Sidis, der aus der Ukraine flieht, nach New York auswandert und in den USA eine unglaubliche Karriere als Psychologe macht. Und jene seines Sohnes William James Sidis, den er durch eine selbst entwickelte Methode zum Genie heranbilden will. Auch wenn der Sohn letztlich gegen den Vater revoltiert, so sind sich beide in ihrer Unbeugsamkeit gegenüber den herrschenden Systemen ähnlich. Nach den Kriterien des Mainstreams scheitern sie zwar, doch bleiben sie sich selbst und ihren Überzeugungen treu. Zehrer ist ein exzellent recherchierter und durch die Vielzahl einprägsamer Charaktere und Schauplätze kurzweiliger Debütroman gelungen, womit sich der Autor als drittes Genie im Bunde erweist.

von HEYN Leserunde H. Schellander, 10. Januar 2018
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Dieser sehr spannend erzählte Roman schildert die bewegte Geschichte der Familie Sidis am Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Sohn der Familie, William Sidis verfügt zwar über außerordentliche, intellektuelle Begabungen, setzt diese aber nicht dafür ein, um ein bequemes und sorgenfreies Leben führen zu können. Als glühender und konsequenter Pazifist stößt er auf viele verschlossene Türen, ist seinen Zeitgenossen in dieser Hinsicht aber weit voraus. Ich empfehle diesen äußerst gelungenen Debütroman wärmstens!

von HeynLeserunde Marianne Schaffer-Schellander , 10. Januar 2018
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Der Autor erzählt uns in seinem umfassenden Werk auf berührende Weise die Lebensgeschichte der Familie Sidis und insbes. über das Leben des Sohnes William, der einer pädagogischen Methode seiner Eltern, die "Sidis-Erziehungsmethode", gerecht werden sollte und sich zeit seines Lebens im Widerstand gegenüber den Vorstellungen und Erwartungen seiner Eltern befand.
Der zum hochbegabten Kind geförderte William studierte und referierte mit 12 Jahren in Harvard, war also ein Wunderkind, was seine intellektuellen Fähigkeiten betraf. In der Entwicklung seiner emotionalen und sozialen Fähigkeiten blieb er jedoch zurück und so wurde er zum sozialen Eigenbrötler, eine neurotische Persönlichkeit mit autistischen und paranoiden Zügen.
Die Bürde seines Lebens war aber wohl, sich von den elterlichen Vorstellungen, dem Lebenswerk seiner Eltern, zu befreien. Dies gelang ihm zeitlebens nicht.
Im Grunde ist diese wahre Geschichte sehr traurig und sie wirft kritische Fragen auf:
Haben Kinder bei allem Dafürhalten von Förderung auch ein Recht auf Kindheit jenseits von Lernen und Wissensbildung?
Wie wichtig ist es, intellektuell herausragend, also ein Genie zu sein und wie ist mit dieser Verantwortung umzugehen, ohne Schaden anzurichten und wer bringt uns das dann bei?
Braucht es nicht auch vor allem emotionale Qualitäten, um ein lebenswertes Leben zu leben?
Haben berühmte Persönlichkeiten ein Recht auf Privatleben - und wenn , wie viel davon?
Diese Fragen sind heute aktueller denn je und das macht diese Geschichte auch so spannend.
Zehrer hat die Biografie eines ewig sich selbst suchenden Lebenskünstlers sehr subtil und umfassend dargestellt. Er reduziert seine Charaktere nicht auf Schuldigkeit und Hilflosigkeit
sondern zeigt auf eine berührende Weise auf, wie sich seine Protagonisten schicksalshaft (und auch vor dem Hintergrund des zeitgeschichtlichen Weltlaufes) gemäß ihrer Ressourcen und Verstrickungen entwickeln.
Zehrers Art der detailreichen und ganzheitlichen Darstellung wirkt manchmal vielleicht ein bisschen langatmig, erscheint jedoch notwendig, um den Persönlichkeiten in seinem Buch gerecht zu werden. Alles in allem - ein wertvolles Buch!

10. Januar 2018
Bewertung:

Ein Buch, ein Roman, die wahre Geschichte des William James Sidis, aber keine Biografie. Es regt den Leser zum Nachdenken über viele Themen an. Es fasziniert, unterhält, bildet und fordert aber auch! Ausführlich recherchiert.
Sehr empfehlenswert!

von HEYN Leserunde Ewa Wiercinska, 10. Januar 2018
Bewertung:

Boris (die Hauptfigur) hat mit seinen Ein- und Vorstellungen über das Leben genervt. Die Entwicklung seines Sohnes und seiner Frau sind mir unverständlich. Nur seine Tochter Helena stellt sich dem Leben. Es waren keine erfreulichen Lesestunden.

von Gudrun Gaber, 9. Januar 2018
Bewertung:

Von der ersten bis zur letzten Seite spannend, faszinierend - und das bei 650 Seiten! Die unglaubliche, tragische Geschichte des William Sidis dürfte sehr gut recherchiert sein - ich habe viel im Internet nachgelesen - .
William ist nicht nur an den Erziehungsmethoden seiner Eltern gescheitert, sondern wahrscheinlich an der nicht notwendigerweise damit einhergehenden Kälte, Beziehungsunfähigkeit und Lieblosigkeit seiner Eltern. Die haben ihren emotionalen Analphabetismus wohl schon aus ihrer eigenen Kindheit mitgebracht.
Hat doch Williams ebenso genialer Kollege Norbert Wiener ein vergleichsweise ziemlich normales Leben geführt.
Auch zeigt dieser Roman, der auch sehr gut übersetzt ist, die strukturellen Zwänge, denen ein so ungewöhnlicher Mensch ausgesetzt ist. Wird er doch als "Eigentum" der Eltern, der Universität, des Landes betrachtet. Seine Freiheit ist bedrohlich eingeschränkt - und daran geht er schließlich auch zugrunde - mehr als an seiner Begabung. Es ist auch ein Roman über einen missbrauchten Menschen, über eine missbrauchte Begabung.
Maria Dörfler

9. Januar 2018
Bewertung:

Kann man ein Genie planen? Offenbar! Wie Boris Sidis seinen Sohn wenige Tage nach seiner Geburt systematisch und strukturiert zu prägen beginnt, ist für einige ambitionierte Eltern in der Jetztzeit sicher nicht uninteressant.
Der Blick, den uns der Autor in das Innenleben des Versuchsobjektes eröffnet, legt große emotionale und soziale Defizite offen.
Ein Buch, das durch die Fülle fasziniert, unterhält, bildet, aber auch fordert und zum Nachdenken über viele Themen anregt

von HEYN Leserunde Lieselotte Fieber, 9. Januar 2018
Bewertung:

William Sidis ist ein Genie, ein Produkt perfekter Erziehung, die ausschließlich auf Leistung ausgelegt ist. Auf der Strecke bleiben die Emotionen und sozialen Kontakte. Das Wunderkind Williams kann eigentlich nur scheitern und gebricht an den Erwartungen, die an ihn gesetzt werden und der Erkenntnis, dass Wissen auch missbraucht werden kann. Großartig geschrieben, phantastisch, unbedingt lesenswert!

von HEYN Leserunde Irmgard Mandl, 9. Januar 2018