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Bewertung:

"Agathe" fiel mir wegen des wunderschönen Covers von hanserblau auf. Nach dem Lesen des Klappentexts war ich neugierig auf den Erstlingsroman der dänischen Autorin Anne Cathrine Bomann geworden, in dem sie aus der Perspektive eines lustlosen, an sich selbst zweifelnden Psychiater im Frankreich des 20. Jahrhunderts schreibt und denkt. Der namenlose Protagonist zählt zu Beginn noch die exakt 800 zu führenden Patientengespräche bis zu seinem Ruhestand; nach der Begegnung mit der deutschen Agathe Zimmermann, dem Schicksal seiner Sekretärin Madam Surrugue und seinem Nachbarn geraten jedoch Routinen sowie Weltansichten aus den Fugen.

Bomann versteht sich darauf, aus Worten eine greifbare Atmosphäre zu schmieden. Während den Patientengesprächen hat man manchmal selbst das Gefühl, auf dem typisch Freud'schen Divan zu liegen und zu assoziieren, während der kauzige Psychiater mehr oder weniger zuhört. Dessen Gedanken und Verdruss schildert die Autorin lebensnah, realistisch und zynisch. Nach jahrelanger Praxis und wegen Patienten, die sich Wunder von ihm angesichts ihrer teils mehr, teils weniger trivialen Probleme erwarten, ist leicht nachvollziehbar, weshalb der Protagonist die Stunden bis zur Pension zählt und Vogelskizzen statt Notizen auf seinem Block verewigt. Ein stummer Schrei nach Freiheit? Vielleicht – "Nur noch vierhundertachtundvierzigmal musste ich mit diesen Menschen sprechen, die ich inzwischen gar nicht mehr versuchte, zu verstehen." Bomann wirft einige interessante, mitunter grundlegend existenzielle Fragen zum Sinn des Lebens, der Angst vor Bedeutungslosigkeit und der Leere ohne Liebe auf. Darüber, wie wir in unserer Welt aneinander vorbei leben und erst in wahrhafte Existenz treten, wenn andere uns wahrnehmen; wie den Nachbarn, den man durch die Wand wie einen alten Freund kennt und der einem eigentlich fremd ist. Eine meiner Lieblingspassagen war das Gespräch mit einem Krebskranken über den Tod:

"Panische Angst!" Nun lächelte er wieder, diesmal mit den Augen. [...] "Ich glaube, am schlimmsten ist die Vorstellung, das Gesicht meiner Frau nie wieder sehen zu können. An einen Ort zu kommen, wo sie nicht ist." [...] "Ich hoffe, Sie finden heraus, wovor Sie Angst haben. [...] Ansonsten wäre es eine fürchterliche Vergeudung." Ich sah ihn an und zuckte mit den Schultern; war bis jetzt nicht eigentlich fast alles vergeudet gewesen? "Wie findet man heraus, wovor man Angst hat?" "Meiner Erfahrung nach [...] beginnt man mit seiner größten Sehnsucht."

Während diese und einige andere Dialoge sehr berührend waren und zum Nachdenken anregten, war es schade, dass die potenziell reiche und tiefgreifende Handlung "Agathes" relativ seicht war. Das Buch ist nur 150 Seiten dick und darunter leidet die Ausarbeitung der Charaktere, ihrer Hintergrundgeschichten und Motive. Dabei gab es einige interessante Stellen, an denen Bomann tiefer greifen hätte können. Stattdessen fühlt es sich etwas wie eine Aneinanderreihung von Aphorismen und Themen an, die in einem Monolog und mit fragmentarisch ausgearbeiteten Erzählsträngen verwoben wurden.

Alles in allem war "Agathe" eine nette Sonntagabendlektüre mit interessanten Fragestellungen und ein paar unerwarteten Schmunzlern. Aber leider war mir die Geschichte an sich zu oberflächlich. Ich denke, LeserInnen / Fans von Streleckys "Das Café am Rande der Welt" oder Coelhos "Der Alchemist" könnte es aber sehr gut gefallen.

von Jennifer
Bewertung:

Zum Inhalt: Obwohl er eigentlich schon angefangen hat, die Tage bis zu seinem Ruhestand zu zählen und er eigentlich keine neuen Patienten mehr annehmen möchte, ist eine weitere Patientin fest entschlossen sich nur von ihm behandeln zu lassen. Dabei ahnt er noch nicht, dass diese Patientin auch für ihn einiges verändern wird – ganz plötzlich taut der ältere Herr wieder auf, beginnt sich wieder mehr für sein Umfeld zu interessieren und am Leben teilzunehmen. Zu Beginn des Buches sind ihm seine Patienten mit ihren Problemen eher lästig, zum Ende hin macht es ihm wieder Freude, anderen Menschen bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu helfen.
Mit seinen 160 Seiten ist „Agathe“ ein eher schmales Buch für einen Roman. Und meiner persönlichen Ansicht nach entspricht „Agathe“ auch sonst eher nicht den Merkmalen eines klassischen Romans. Dafür hängen die einzelnen Abschnitte mit ehrlich gesagt zu wenig zusammen. Anne Cathrine Bomann lässt uns in einzelnen Szenen aus dem Leben und der beruflichen Tätigkeit des bis zum Ende des Buches lediglich „der Psychiater“ ist.
Dabei sind die Szenen und Informationen, die die Autorin ihrer Leserschaft präsentiert, klug gewählt, regen zum Nachdenken an und berühren. Man empfindet Mitleid mit diesem älteren Herren, der sich so von seinem Umfeld zurückgezogen hat und isoliert fühlt. Allerdings kratzen mir viele der Szenen zu sehr an der Oberfläche. Ich hätte mir zum Beispiel mehr Informationen zum Leben des Psychiaters gewünscht, angefangen bei seinem Namen. Es hat sich irgendwie unpersönlich angefühlt, ihn bis zum Ende des Buches nur als den „Psychiater“ bezeichnen zu können.
Was mir bis zum Ende hin auch nicht ganz klar geworden ist, ist die „Beziehung“, die der Psychiater zu seiner neuen Patientin (Agathe) entwickelt. Es ist eine etwas merkwürdig anmutende Faszination, die ihn da gepackt zu haben scheint.
Allerdings verfügt Anne Cathrine Bomann über einen sehr anmutigen, wundervollen Schreibstil, der der Geschichte viele Emotionen einhaucht, ganz besonders die melancholischen Momente und bittersüßen Szenen gewinnen unglaublich durch die Wahl der treffenden Worte.
Zuletzt noch ein Wort zu der wunderschönen Gestaltung des Buches, das anmutet, als wäre es mit Stoff bezogen und im Stil wie ein altmodischer Sofabezug daherkommt. Das Äußere des Buches passt dabei sehr gut zu dem Inhalt und selbst der kleine Spatz auf dem Cover scheint eine Anspielung auf einen Moment in der Handlung zu sein.
„Agathe“ lässt mir auf der einen Seite ein wenig zu viel Raum für Interpretationen, auf der anderen Seite hat mich die übertriebe Faszination des Psychiaters für seine Patientin Agathe etwas irritiert. Auf der anderen Seite hat mich die Einsamkeit dieses Mannes berührt und der Schreibstil hat mir unglaublich gut gefallen. Daher komme ich in einer Gesamtwertung zu einer Bewertung mit drei Sternen.

von Glücksklee, 8. Februar 2019
Bewertung:

Ein alternder Psychiater erwartet sehnsüchtig seinen Ruhestand, einem Countdown gleich zählt er die verbleibenden Sitzungen. Doch gleichzeitig hat er Angst vor der drohenden Einsamkeit, welche ihn erwartet, wie einer Vorstufe zum Tode gleich. Denn im Laufe seines Lebens hat er schleichend den Bezug zu den Menschen verloren.

"Es war noch nie meine Art gewesen, eine einmal in Gang gesetzte Bewegung zu unterbrechen" (Zitat S. 37)

Als seine Assistentin gegen seinen Willen Agathe als neue Patientin aufnimmt, gerät der Psychiater dank der beiden Frauen in Situationen, welche sein Leben in neue Bahnen lenken.

"Wie findet man heraus, wovor man Angst hat?!" - "Meiner Meinung nach (...) beginnt man mit seiner größten Sehnsucht." (Zitat S. 97)

Die Geschichte wird vom Psychiater selbst erzählt, wodurch man seine Gedanken und Gefühle miterlebt. Auf mich wirkte der Charakter schnell soziophob, was sich u. a. durch Teilnahmslosigkeit und Zynismus äußerste. Der Wandel hin zum Menschen, der sein altes Leben entstaubt und neue Ziele entdeckt, verläuft zunächst subtil. Hierbei ist Agathe einer von mehreren Faktoren, wobei ihr Charakter für meinen Geschmack zu blass bleibt, um den Titel zu rechtfertigen.
Agathe ist ein Buch ohne wirklich Anfang oder Ende, vielmehr beschreibt es eine Art Wendepunkt im Leben des Psychiaters, ohne eine Erklärung zu liefern, wie der Mann überhaupt in seine Isolation geraten konnte. Das Buch überzeugt durch seine poetische Sprache und regt zum Nachdenken an, kratzt jedoch für meinen Geschmack eher an der Oberfläche als dass es die Personen näher beleuchtet.

von Christina P., 4. Februar 2019
Bewertung:

Die 71jährige Protagonist führt seit Jahren eine psychotherapeutische Praxis in einem Vorort von Paris. In seinem stolzen Alter merkt man schnell, dass er die Freude und Leidenschaft nicht nur zu seinem Beruf verloren hat. Als seine Sekretärin ihm dann doch kurz vor dem Ruhestand eine neue Patientin aufhalst und er dann auch von Schicksalsschlägen gestreift wird, wird er doch noch vom Leben wachgerüttelt.

Es handelt sich bei diesem Buch um eine sehr leise, poetische Erzählung, die viel Freiraum für Interpretationen lässt. Die Sprache ist sehr angenehm und trotz des Inhalts leicht zu lesen. Die Figuren sind an sich gut ausgereift und gewählt, jedoch fehlen mir leider ein paar Hintergründe.

Alles in allem hat mir dieser Roman mit ein paar Abstrichen gut gefallen und ist für Leser, die sich gern einen Rahmen zum Erzählten bauen perfekt geeignet!

30. Januar 2019
Bewertung:

Kennen Sie das, dass es einem besser geht, wenn man dem Leid des anderen gegenüber steht? Wenn man sich dankbar umdrehen kann, weil man die Sorgen des anderen nicht hat? Der Psychiater hat nur noch wenige Wochen bis zum Ruhestand. Doch leider kann er sich darauf nicht freuen, weil er die Liebe nie kennenlernen durfte. Weil er merkt, dass er schlechter dran ist als seine Patienten. Weil er erkennt, dass er ihnen nicht helfen kann, genauso wie er selbst unfähig ist glücklich zu sein. Man staunt als Leser, was eine manisch-depressive Patientin mit dem alten Psychiater noch so anstellen kann! Unglaublich gut geschriebenes Stück Literatur!

von Barbara Kumpitsch
Bewertung:

„Agathe“ ist eine ungewöhnliche Geschichte über das Leben, Veränderungen und Freundschaft von der Autorin Anne Catherine Bormann.

Ein Psychiater, der kurz vor seinem Ruhestand steht, möchte seine letzten Patiententermine eigentlich nur noch hinter sich bringen und zählt seine letzten Termine. Obwohl er klar angewiesen hat, dass er keine neuen Patienten mehr annehmen möchte, macht seine Sekretärin einen Termin mit Agathe, die manisch-depressiv ist und bisher noch nicht bei ihm war. Durch die Gespräche mit ihr wird ihm bewusst wie einsam er ist und wie leer sein Leben im Laufe der Zeit geworden ist und er beginnt ganz langsam umzudenken.

Die Handlung des Buches konzentriert sich auf das Wesentliche. Es geht um Agathe und den Psychiater, deren Aufeinandertreffen für beide Veränderungen bedeuten, aber während Agathe die Nähe des Psychiaters suchte, erkennt er erst im Laufe der Treffen seine Fehler und die Notwendigkeit für Neuanfänge.

Viele der gestellten Fragen haben mich zum Nachdenken angeregt und dazu angehalten diese für mich zu beantworten. Dadurch haben mich die 160 Seiten sehr viel länger beschäftigt als ich ursprünglich vermutet hatte.

Der Schreibstil der Autorin ist sehr angenehm und leicht zu lesen. Die recht kurzen Kapitel eignen sich gut dazu im Anschluss über die Themen, die jedem geläufig sind und denen jeder täglich begegnet, nachzudenken und eigene Schlüsse zu ziehen. Nähe, Freundschaft, Veränderungen, Neuanfänge, Chancen nutzen, dem Leben stets Neues einzuhauchen und aus festgefahrenen Wegen herauszutreten sind nur einige der Botschaften, die die Autorin unterhaltsam und tiefgründig zugleich vermittelt.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen und es wird mich gedanklich noch einige Zeit beschäftigen.

von Tara, 27. Januar 2019