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“In dieser Familie ging es nie darum, glücklich zu sein. Also kann man sich auch nicht beschweren, dass wir es nicht geschafft haben.”

Die Cardinals sind wie niemand sonst: eine Großfamilie mit 21 Kindern, welche in Norco im französischsprachigen Teil Kanadas aufwachsen. Norco ist eine Minenstadt. Hier wird Erz abgebaut, und die ganze Stadt existiert nur wegen der Mine. Der Vater hat die Mine ursprünglich entdeckt, trotzdem blieb das erwartete Geld aus. Und so leben die Cardinals arm aber glücklich in den Tag hinein, immer auf der Suche nach einer weiteren Erz- oder sonstigen Ader. Der Vater scheint nur für den Bergbau zu leben, die Mutter ist mit ihren vielen Aufgaben sehr beschäftigt und meist in der Küche, und so scheinen die älteren Kinder die jüngeren zu erziehen.

30 Jahre später findet zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein Familientreffen statt. Der inzwischen über 80-jährige Vater soll eine Auszeichnung bekommen. Hierzu finden sich alle Kinder sowie die Eltern in einem Hotel ein. Doch wieso hat es die Familie ursprünglich in alle Himmelsrichtungen zerstreut? Welches Geheimnis verschweigen sie?

Es hat mich ein bisschen Zeit gekostet, um in das Buch hineinzufinden. Dann jedoch hat es mich nicht mehr losgelassen. Saucier beschreibt wunderbar poetisch, unaufgeregt wie auch realistisch die Geschichte einer Großfamilie mit 21 Kindern in einem Bergbaudorf in Kanada. Jedes Kapitel wird aus der Perspektive eines anderen Kindes erzählt. Die Autorin ist eine wunderbare Erzählerin. Ihre Charaktere sind vielschichtig und stark, jeder der Protagonisten auf seine eigene Art. Im Leben dieser Familie gibt es unglaublich viel Liebe, aber auch unglaublich viel Leid. Die Geschichte zog mich völlig in seinen Bann, ein wahres Meisterwerk!

von skiaddict7, 12. April 2019
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Diese kanadische Autorin ist mit „Ein Leben mehr“ im deutschsprachigen Raum bekannt geworden. Ihr neuer Roman ist ganz anders, aber für mich war er zugänglicher und mit interessanteren Figuren versehen. Vielleicht weil die Cardigans eine wilde Horde sind: 21 Kinder laufen in dem kleinen Bergbaudorf rum und treiben ihr Unwesen. Wild sind sie, weil sie keine Angst haben, nicht vor Sprengstoff, das die Bergleute benötigen und nicht vor den anderen im Dorf, den Landeiern. In Norco ist ihr Vater gleichzeitig ein Held und der größte Verlierer aller Zeiten. Und trotzdem bewahren sich die Kinder den Traum vom großen Geld. Saucier fesselt den Leser und hält für ihn ein überraschendes Ende bereit!

von Barbara Kumpitsch
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Die Familie Cardinal ist besonders, denn die Eltern haben 21 Kinder. Der Vater ist Erzsucher und sie wohnen in einem kleinen Städtchen, das eigentlich nur wegen einer Mine existiert. Als die Kinder erwachsen sind, zerstreuen sie sich in alle Winde. Doch nun soll der Vater eine Auszeichnung bekommen und tatsächlich sind alle angereist. Es ist das erste Familientreffen.

Der Anfang des Romans wird uns erzählt von ‚Matz‘, dem jüngsten Kind. Er erzählt von einer wilden und freien Kindheit. Als jüngstes Kind hat er kaum Kontakt zu seinen Eltern, seine Geschwister ziehen ihn groß. Schnell wird klar, dass er damals gar nicht alles mitbekommen hat und auch heute noch, im Erwachsenenalter, haben seine Geschwister Geheimnisse vor ihm.

Was das Buch so interessant macht: Nach dem ersten Abschnitt wechselt die Perspektive und die Geschwister erzählen nach und nach jeweils einen Teil der Geschichte. Und wenn eines der älteren Kinder erzählt, die quasi die Rolle der Eltern übernommen haben, sieht die Geschichte ganz anders aus.

Dieser Roman konnte mich an vielen Stellen überraschen, er spielt mit dem Leser. Deswegen möchte ich auch gar nicht zu viel verraten. Nur soviel: die Familie hat ein Geheimnis, das unter der Oberfläche brodelt und nur darauf wartet entdeckt zu werden.

Begeistert haben mich aber nicht nur die unerwarteten Wendungen, sondern auch die Beschreibung der Familie, die Dynamik zwischen den Kinder und Eltern. Bei 21 Kinder haben die Eltern längst aufgegeben, sich um jeden zu kümmern, die Mutter steht den ganzen Tag in der Küche und der Vater versteckt sich bei der Arbeit oder im Keller. Und doch lernen wir gerade den Vater noch von einer ganz anderen Seite kennen.

Ein wunderbares Buch, bei dem man in einen richtigen Leserausch verfällt. Könnte man sicher gut an einem verregneten Sonntag in einem Rutsch durchlesen. Eine klare Leseempfehlung.

von TanyBee, 26. Februar 2019
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Die Wahrnehmung der eigenen Familie aus dem sehr persönlichen Blickwinkel ist immer ein einzigartiger. Hat man nun viele Geschwister und wächst man in ärmlichen Verhältnissen auf, schweißt das sicherlich zusammen. In diesem Fall handelt es sich um die enorme Zahl von 21 Kindern in einer Familie, die Ende der 50er / Anfang der 60er Jahre in einem verlassenen Mienen-Ort in Kanada aufwuchsen. Arme Verhältnisse. Eine verlorene Mutter, die nur noch kocht und eigentlich nur noch physisch anwesend ist. Ein Vater, der obsessiv auf der Suche nach Zink ist und Dynamit sein Heiligtum. Dieses bizarre Bild der Kindheit zeichnen die Geschwister uns selbst. In jedem Kapitel kommt ein anderes Kind der Familie zu Wort und erzählt aus der vergangenen Kindheit, die 30 Jahre zurück liegt und wie ein Mosaik eine Art Wahrheit freilegt und bittere Ereignisse. Es fesselt ganz leise. Ein düsteres Geheimnis umgibt die Geschwister. Ein Ereignis das vom Kollektiv verdrängt wird, führt geradezu zu einer verklärten Wirklichkeit.
Die Autorin, Jocelyne Saucier, die sehr toll von Sonja Finck und Frank Weigand übersetzt wurde, schafft es unterschiedlichen Nuancen grandios auszuarbeiten. Die subtilen Wahrnehmungen der einzelnen Geschwister, getrieben durch die eigene Rolle in der Familie oder auch schlicht durch manchen enormen Altersunterschied. Ein dunkler ruhiger Roman, der imposante Kraft hat.
Diese franko-kanadische Geschichte, die bereits 2000 auf Französisch erschien (‚Les héritiers de la mine‘), ist nun bei uns unter dem Titel “Niemals ohne sie” publiziert worden. Da die erzählte Geschichte weit in der Vergangenheit spielt, macht dieser Publizierungsunterschied von 18 Jahren nichts aus.

Fazit: Literarisch wertvoll - spannend zu lesen und eine interessante fiktive Sozialstudie.

von nil_liest, 22. Februar 2019
Bewertung:

Eine aufgelassene Zinkmine in der aussterbenden Stadt Norcoville und eine ungewöhnliche Familie, die Cardinals, deren 21 Kinder in Anarchie (und dennoch strenger Hierarchie) aufwachsen, wild, unabhängig und mit wachem Verstand. Sie tragen Nicknames wie Mustang, Jeanne d'Arc, Wapiti, Mahatma, Pharao, El Toro, Gelber Riese. Das Epizentrum der familiären Drehscheibe ist das dreisitzige Sofa, um das ständig ein harter Kampf ausgefochten wird.
Sie veranstalten unter sich Wettbewerbe, etwa wer die schönsten Frostbeulen hat, sind mutig und schlau. Am elften Geburtstag wird jedes in den Umgang mit Dynamit eingeweiht. Waghalsige Aktionen und überbordende Lebenslust, ja Lebenswut, dieser terroristischen Familie lassen die noch verbliebenen Stadtbewohner vor den Cardinals zurückzucken.
Dennoch hat sich mit dem Tod eines der Zwillinge eine tiefe Lücke aufgetan. Die wird erst recht deutlich, als sich die Familie anlässlich eines Kongresses nach Jahren wieder trifft. Jedes Familienmitglied fürchtet sich insgeheim davor, weil um des Zusammenhalts willen ja so vieles mit dem Mantel des Schweigens zugedeckt worden ist.
Aus der Sicht der einzelnen Geschwister, bei geschickten Übergängen der Abschnitte, werden in überraschenden Schritten ungeahnte Abgründe erhellt. Es geht um das das Verschwinden von Angèle, um das Scheitern des Vaters und die Rettung der Familie. Der explosive Plan dazu fordert jedoch sein Opfer.
Der lässige Ton passt durchaus zum Inhalt der Story. Drum ist der Leser sofort mittendrin im Geschehen, ja fühlt sich zugehörig. Man schwankt beim Lesen zwischen Lachen und Weinen und würde manchmal am liebsten ins Geschehen eingreifen.
In einer überaus lebendigen, farbigen Sprache erzählt Jocelyne Saucier eine atemberaubende, berührende Geschichte, die den Leser auch nach dem Schliessen des Buches nicht loslässt. Das stetige Wiederholen der Ereignisse hingegen schien mir unnötig und haben den Text merklich ausgebremst. Sehr passend hingegen das Coverbild.
Familien haben zahllosen Facetten, und "Niemals ohne sie" zeichnet eine davon. Ich möchte mit einem Zitat aus dem Buch abschliessen: "Die Familie ist eine Begegnung mit dem, was man am tiefsten in sich vergraben hat." Hier auch im wörtlichen Sinn.

11. Februar 2019