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Das Buch der vergessenen Artisten

Roman von Vera Buck
Seitenanzahl:752 Seiten
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht:2018
Verlag: Limes Verlag
ISBN:978-3-641-20165-4
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Kurztext / Annotation

Die wundersame Welt des Jahrmarkts, dramatische Zeiten und eine Liebe, die auch die größte Dunkelheit erhellt ...
Ein Plädoyer wider das Vergessen und ein schillerndes, packendes Panorama der deutschen Geschichte - von den Jahrmärkten und Showbühnen Anfang des 20. Jahrhunderts bis hin zu den Kabaretts und geheimen Künstlertreffs im Berlin der Nazi-Zeit.
Deutschland, 1902. Mathis ist der dreizehnte Sohn eines Bohnenbauern, sein Leben zwischen Äckern und Feldern scheint vorherbestimmt. Erst als der Jahrmarkt im Dorf Einzug hält, bekommt Mathis eine Ahnung von der großen, weiten Welt jenseits der Hügel, die den Ort umgeben. Zusammen mit den Schaustellern begibt er sich auf eine außergewöhnliche Reise.
Berlin, 1935. Der Röntgenkünstler Mathis und seine Partnerin, die Kraftfrau Meta, leben in einer Wohnwagensiedlung am Rande der Stadt. Es sind düstere Zeiten für die Artisten: Auftrittsverbote werden verhängt, Bühnen dichtgemacht. Doch in geheimen Clubs lebt die Vergangenheit weiter. Genau wie in dem Buch, an dem Mathis schreibt - einem gefährlichen Buch, das unter keinen Umständen in die falschen Hände geraten darf ...

Vera Buck, geboren 1986, studierte Journalistik in Hannover und Scriptwriting auf Hawaii. Während des Studiums verfasste sie Texte für Radio, Fernsehen und Zeitschriften, später Kurzgeschichten für Anthologien und Literaturzeitschriften. Nach Stationen an Universitäten in Frankreich, Spanien und Italien lebt und arbeitet Vera Buck heute in Zürich. Ihr Debütroman »Runa« (im Taschenbuch »Runas Schweigen«) wurde für den renommierten Glauser-Preis nominiert und, wie auch der Nachfolger »Das Buch der vergessenen Artisten«, von Lesern und der Presse hoch gelobt.

Beschreibung für Leser

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ERSTES KAPITEL

Langweiler, 1902

Die Landschaft war gebrannter Zucker. Braun kandierte Felder, so weit das Auge reichte, ein gelbgoldener Wald und darüber die alles röstende Sonne. Die hatte sich ihre Strahlen für diesen Moment aufgespart. Den ganzen Sommer über hatte es geregnet, bis die Bohnen auf dem Feld ertranken. Heute aber schien sie, was das Zeug hielt.

Der fünfzehnjährige Mathis platschte durch das ausgeweidete Stoppelfeld. Seine Schuhe waren durchnässt. An seinem Hosensaum klebte Matsch, selbst oben am Knie, selbst am Hemd. Er war ein von Matsch besprenkelter Mensch, wie er da so über die Wiese lief und dem Geruch der gebrannten Mandeln folgte. Klebrig und warm und unglaublich süß hing der Duft in der Luft, so greifbar, als hätte der Wind die Kupferpfannen gleich mit den Hügel hinaufgetragen. Statt über den Zaun zu springen, hielt Mathis inne, verschnaufte und kletterte dann umständlich darüber. Ein Bein blieb fast hängen. Es war das rechte, natürlich.

Mathis wollte sich einreden, dass es nichts machte, wenn Lucas und Hans ihn zurückließen. Dass das an einem Tag wie diesem schon mal passieren konnte. Natürlich war der Jahrmarkt eine ganz spezielle Situation, und natürlich wollte niemand auch nur eine Minute verpassen, da konnten sie noch so gut befreundet sein. Alle wussten ja, dass die Gegend zurück in ihren öden Dornröschenschlaf fallen würde, wenn das Wochenende erst mal vorbei war, zurück in die Abwesenheit von jeder Landkarte.

Wie die Wagen überhaupt den Weg hierhergefunden hatten, war allen Bewohnern ein Rätsel. Ausgerechnet in dieses Dorf, in das doch sonst nichts gelangte: keine Neuerungen, keine Erfindungen, keine neuen Menschen, nichts. Alles, was die Bevölkerung produzierte und gebar, blieb, wo es hingehörte. Der Name des Dorfs war Langweiler, und man wusste schon, wieso. Aber jetzt waren da diese Wagen. Und sie hatten Dinge mitgebracht, von denen die meisten Dorfbewohner bislang nie etwas gehört hatten.

Mathis humpelte schneller, wütend über das Bein, das ihn mal wieder von allem abhalten sollte. Jeder Fünfjährige hätte ihn überholen können, doch für Mathis war dieses Tempo ein Sprint. Er bewegte sich sonst nur langsam oder gar nicht. So etwas tat er bloß für den Jahrmarkt. Auf den letzten Schritten den Hügel hinab ging ihm vollends die Puste aus. Er strauchelte und fiel und lag japsend auf dem Rücken, über ihm ein paar weiße Wattewolken und der Duft der gebrannten Mandeln. Mathis wartete darauf, dass Herz und Lunge wieder ihre normale Tätigkeit aufnehmen würden. Dann schob sich ein Kopf in sein Blickfeld.

»Alles klar bei dir, Junge?« Der Mann, der zu dem Kopf gehörte, hatte türkisfarbene Augen, war etwa zwanzig, unrasiert und trug lediglich ein Unterhemd. Die Bänder der Hose baumelten offen um seinen Schritt. Er hatte gerade gepinkelt, als er Mathis kippen sah.

»Ich bin Vincent. Komm, ich helf dir hoch.«

Mathis ergriff die feuchte Hand aus Mangel an Alternativen. Vincent riss ein wenig zu heftig an seinem Arm, als er ihm aufhalf. Mathis' Größe nach zu urteilen, hätte er eigentlich viel schwerer sein müssen. Doch durch das abgetragene Hemd sah man nicht, dass es den Rippen an Fleisch fehlte. Mathis flog ein Stück durch die Luft und fast an Vincent vorbei, der ihn im letzten Moment an der Schulter festhielt.

»Hoppla«, sagte Vincent.

»Alles in Ordnung.« Mathis klopfte sich verlegen die Hosenbeine ab. Bunte Schaubuden, Zelte, Karren und Waggons drängten sich dort aneinander, wo sonst nur grüne Eintönigkeit herrschte. In der Mitte des Platzes standen ein hölzernes Karussell und dahinter ein Festzelt. Irgendwo schrie ein Tier, das wie ein verletzter Vogel klang. Dann klingelte hinter ihnen eine Glocke, und jemand brüllte etwas in einer fremden Sprache. Vincent zog Mathis zur Seite, damit sie einem krummen kleinen Mann und seinem Kamel Platz machten. Das Tier schaukelte so nah an Mathis vorbei, dass er nur di