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Ein Leben mehr

Roman von Jocelyne Saucier
Auflage:1. Auflage
Seitenanzahl:191 Seiten
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht:2015
Verlag: Insel Verlag
ISBN:978-3-458-74288-3
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Kurztext / Annotation

Dies ist die Geschichte von drei alten Männern, die sich in die nordkanadischen Wälder zurückgezogen haben. Von drei Männern, die die Freiheit lieben. Eines Tages aber ist es mit ihrer Einsiedelei vorbei. Zuerst stößt eine Fotografin zu ihnen, sie sucht nach einem der letzten Überlebenden der Großen Brände, einem gewissen Boychuck. Kurze Zeit später taucht Marie-Desneiges auf, eine eigensinnige, zierliche Dame von achtzig Jahren. Die Frauen bleiben. Und während sie dem Rätsel um Boychucks Überleben nachgehen, entsteht etwas unter diesen Menschen, das niemand für möglich gehalten hätte.
Ein Leben mehr ist ein wundersam beseelter und berührender Roman, eine leidenschaftliche Hommage an die Liebe, die Freiheit und die Natur. Ein Roman wie das Leben selbst: traurig und schön.



Jocelyne Saucier, geboren 1948 in der kanadischen Provinz New Brunswick, arbeitete lange als Journalistin, bevor sie mit dem literarischen Schreiben begann. Ihr vierter Roman Ein Leben mehr, der 2015 bei Insel erschien, war ein Bestseller und wurde verfilmt. Saucier lebt heute in einem Zehn-Seelen-Ort im Wald, im nördlichen Québec.

Beschreibung für Leser

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

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 Die Fotografin

Kilometer um Kilometer fuhr ich einen unbefestigten Weg entlang, während sich über mir Gewitterwolken zusammenballten. Die ganze Zeit fragte ich mich, ob sich der Wald wohl lichten würde, bevor es dunkel wurde, oder wenigstens, bevor das Unwetter losbrach. Seit dem frühen Nachmittag fuhr ich über federnde Waldwege, kreuzte hin und wieder einen Forstweg oder eine Quadpiste, und irgendwann kamen nur noch Pfützen, Moosteppiche und Fichten, die immer dichter wuchsen, eine finstere, schwarze Festung. Der Wald würde mich verschlingen, bevor es mir gelang, diesen Ted oder Ed oder Edward Boychuck ausfindig zu machen. Der Vorname änderte sich, aber der Nachname blieb gleich, also musste an den Geschichten etwas dran sein, die man mir über Boychuck erzählt hatte, einen der letzten Überlebenden der Großen Brände.

Ich hatte geglaubt, dass die Wegbeschreibung ausreichen würde: Du fährst immer am Fluss entlang, dann biegst du rechts ab und fährst ungefähr fünfzehn Kilometer bis zum Perfection Lake, der ist leicht zu erkennen, er besteht aus Eiszeitwasser, türkisem Gletscherwasser, der See ist rund wie ein Teller, daher auch der Name, an dem türkisen Teller biegst du links ab, du fährst an einem verrosteten Förderturm vorbei, dann geht es zehn Kilometer immer geradeaus, auf keinen Fall darfst du in einen der alten Forstwege abbiegen, und ab da kannst du dich nicht mehr verfahren, da ist nur noch dieser eine Weg, der ins Nichts führt. Rechts siehst du einen Bach, der durch Felsbecken fließt, und in der Nähe des Bachs steht Boychucks Hütte, aber ich sag's dir gleich, er bekommt nicht gern Besuch.

Der Fluss, der türkise See, der alte Förderturm, ich folgte der Beschreibung genau, aber ich stieß auf keinen Bach, der durch Felsbecken floss, und auch auf keine Hütte. Plötzlich war der Weg zu Ende. Weiter ging es nur auf einem verwilderten Pfad, für den man ein Quad gebraucht hätte. Mit meinem Pick-up kam ich da nicht durch. Ich überlegte gerade, ob ich umkehren oder auf der Ladefläche übernachten sollte, als ich ganz in der Nähe Rauch sah, ein dünnes Band, das sich über den Baumwipfeln kräuselte. Eine Einladung.

Charlies Blick traf mich, sobald ich die Lichtung betrat, auf der mehrere Hütten standen. Eine Warnung: Niemand betritt sein Reich ohne Einladung.

Sein Hund hatte mich natürlich längst angekündigt, und Charlie erwartete mich vor einer der Hütten. Es musste die Wohnhütte sein, denn aus dem Ofenrohr stieg der Rauch auf, den ich gesehen hatte. Charlie trug mehrere Holzscheite im Arm, er wollte wohl gerade das Abendessen kochen. Während unseres gesamten Gesprächs hielt er die Scheite umklammert und stand reglos vor der geschlossenen Fliegengittertür. Er machte keine Anstalten, mich hineinzubitten. Die eigentliche Tür stand offen, damit die Hitze des Ofens entweichen konnte. Drinnen war es dunkel und ich konnte nicht viel erkennen, nur ein schemenhaftes Durcheinander, aber der Geruch war mir vertraut. Es war der Geruch von Waldmenschen, der Mief von Männern, die seit Jahren keiner Dusche oder Badewanne nahe gekommen waren. Denn so etwas besaßen meine alten Freunde nicht. In ihren Hütten roch es nach ungewaschenen Körpern und ranzigem Fett, weil sie sich hauptsächlich von Wild ernährten, gebraten oder als Eintopf, ein Fleisch, dem man viel Fett beigeben muss, es roch nach dem Staub, der in dicken Schichten auf allem lag, was nicht regelmäßig bewegt wurde, und es roch nach trockenem Tabak. Der Tabak war ihre Lieblingsdroge. Die Anti-Raucher-Kampagnen der Regierung waren nicht bis zu ihnen vorgedrungen, und so kauten einige meiner alten Freunde nach wie vor auf ihrem Nikotinklumpen herum oder schnupften andächtig ihren Copenhagen. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie wichtig der Tabak ihnen war.

Charlies Zigarette wanderte zwischen seinen Mundwinkeln hin und her wie ein kleines zahmes Tier, und als sie erlosch, blieb s